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Sophie und Ich


Es ist mittlerweile ein bisschen mehr als ein Jahr her seit mich die Anfrage bei "Sophie und ich" mitzuspielen erreicht hat. Seither begleitet mich Traudl Junge immer mal wieder in meinem Arbeitsalltag. Es ist nicht das erste mal, dass ich in die Rolle einer realen Person schlüpfen darf. Bereits eine der ersten Rollen nach der Schauspielschule und im Berufsleben hat auf einer wirklichen Person basiert und seither kommt es von Zeit zu Zeit vor dass ich jemandem eine Stimme verleihen darf, dessen Stimme bereits vor einigen Jahren verstummt ist. Diese Rollen haben immer etwas besonderes an sich weil man ihnen nochmal anders gerecht werden will und die Rollenarbeit weniger auf einem eigenen Weben als einem Verstehen der Person basiert. Trotzdem war Traudl Junge eine ganz besondere Herausforderung für mich, denn es war wohl die erste reale Person , die ich darstellen sollte, die ich anfangs nicht leiden konnte. Vermutlich ist das auch der Grund, weshalb ich ihr heute und nachdem das Stück für das Jahr 2022 abgespielt hat, einen Blogbeitrag widmen möchte.

Einige werden bereits wissen, dass ich bei meiner Oma aufgewachsen bin, einer wundervollen Frau, die den zweiten Weltkrieg selbst erlebt hat und mir damit immer wieder Rätsel aufgibt. Denn ich kenne sie, die Geschichten von den Kriegsjahren, Berichte über Fliegeralarm, Max und Moritz, die beiden Jagdbomber, die über Neustadt kreisten, Hunger, lange Märsche durch den Wald auf dem Weg vom Lager nach Hause und auch die Geschichten über den Einmarsch der Alliierten. Aber eben auch die Geschichten über Juden, die langsam aus dem Alltag verschwinden und einen Nachbarn, der zwischen Häusern hoch und runter gejagt wurde. Und genau da gründet das große Unverständnis, das mich mit der Kriegszeit lange verbunden hat. Wie kann ein wundervoller Mensch, ein Mensch den ich bewundere, behaupten nichts mitbekommen zu haben und trotzdem genau das erzählen was eigentlich zum mitbekommen vollkommen reichen sollte?

In diesem Unverständnis lag wohl auch meine anfängliche negative Haltung zu Traudl Junge, Hitlers Sekretärin. Keine Frage auf welcher Seite sie damals wohl stand oder? Mein Bild von ihr war anfangs nicht wirklich rosig, ganz im Gegenteil und gerade deshalb möchte ich nun am Ende des Jahres nochmal auf sie zurück kommen, denn in gewissen Punkten hat sie mich überrascht und mich auf eine Art und Weise mit dieser Vergangenheit versöhnt, die ich nicht erwartet hatte. Ja es stimmt, sie hätte etwas bemerken müssen, hat es in gewisser Art und Weise wohl auch getan und die Wahrheit vor sich selbst verleugnet wie viele andere ihrer Zeit (und wohl auch heute wenn man so an Russland denkt). Was mich an Traudl jedoch beeindruckt und was auch der Grund ist weshalb ich ihr vor jeder Vorführung zuflüstere, dass sie willkommen ist, ist dass sie ihre Vergangenheit aufgearbeitet hat, lange nachdem sie es schon nicht mehr musste. Sie hat sich ihrer eigenen Blindheit der Verleumdung all dessen was um sie herum passiert ist gestellt nachdem das Thema für sie hätte durch sein können, hat Fehler zugegeben, eingestanden und ganz offen darüber hinaus ihre eigene Schuld benannt. Etwas, das für mich von großer Stärke und Mut zeugt und der Grund ist weshalb ich stolz darauf bin ihr heute, rund 20 Jahre nach ihrem Tod noch ein Gesicht und eine Stimme geben zu dürfen, der Grund weshalb ich finde, dass sie in dem Stück Sophie und ich neben Sophie Scholl durchaus ihre Daseinsberechtigung hat und der Grund weshalb ich hoffe, dass sie dem ein oder anderen im Gedächtnis bleibt.

Bei der Vorbereitung auf Sophie und ich bin ich über das Buch "Kind, Versprich mir dass du dich erschießt- der Untergang der kleinen Leute 1945" von Florian Huber gestolpert. Ein Buch, das mich eiskalt erwischt hat. In Interviews von Traudl Junge zu hören wie der Selbstmord zum Alltagsgespräch im Führerbunker währende den Mahlzeiten wurde, wie darüber diskutiert wurde, Kinder mit in den Selbstmord/Mord zu nehmen war eine Sache, die Selbstmordwelle, die Deutschland 1945 traf und vor allem Demmin erschütterte ganz anders, noch dazu weil diese Welle mir trotz all der Erzählungen meiner Oma, des Hauptfachs Geschichte und der ein oder anderen Recherche bis zu dem Moment, als ich das Buch in Händen hielt, nie bekannt war. Ich weiß der ein oder andere sieht mich schief an wenn es um den Krieg in der Ukraine geht, vermutlich weil ich geprägt durch die Recherche zu dem Stück eben nicht nur die Ukrainer sondern auch Teile der Russen als Opfer ansehe. Opfer eines wahnsinnigen, machtbesessenen Mannes, der leider nur zu gut weiß wie man die Massen bewegt, Opfer eines Regimes, das die Hirnwäsche auf einer Ebene betreibt, die vor rund 80 Jahren noch nicht denkbar gewesen war und den Missbrauch von Medien auf eine neue Ebene hebt. Droht eine weitere Welle wie 1945 anzurollen wenn der Krieg je von der richtigen Seite gewonnen werden und Russland aus seinem Propaganda Dornröschenschlaf gerissen werden sollte? Und ist es nicht irgendwie auch unsere Aufgabe dafür zu sorgen dass das nicht passiert, ein Begreifen und Verstehen möglich zu machen vor es zu spät und zu viel passiert ist das sich nicht mehr ändern lässt?

Es ist nicht das Stück was mir Angst macht, es ist unsere Zeit, die mich für unsere Welt fürchten und mich mit einem mulmigen Gefühl auf 2023 blicken lässt. Denn ja, ich spüre es überall, die Welt ist in Aufruhr, es brodelt an allen Ecken und Kanten und wir sind nur zu willig die Augen zu verschließen, in Vergessenheit geraten zu lassen was gerade nicht vor der eigenen Haustür passiert. Iran, Katar, die Ukraine, Russland, das Zusammentreiben von Mustangs in den USA, der deutlich spürbare Egoismus einzelner während der Coronapandemie, der die eigenen Rechte wichtiger sind als der Versuch andere zu schützen, es scheinen so viele Herde gleichzeitig zu flammen und doch habe ich das Gefühl man kann das Problem ganz leicht benennen. Wir sind dabei abzustumpfen, unsere Menschlichkeit zu verlieren.

Während es mich bei dem Gedanken was da wohl noch alles auf uns zukommen wird fröstelt, strecke ich also die Hand nach Traudl aus. Nicht wegen der Fehler, die sie gemacht hat sondern wegen ihres Mutes, weil sie ihre Stimme doch noch gefunden hat und ich stolz bin ihr ein kleines Denkmal schaffen zu können und sei es nur vor fünf Häfele, die ihren Weg an einem regnerischen Tag unter der Woche ins Bürgerhaus in Endingen gefunden haben.

Sophie und ich ist nicht nur deshalb ein besonderes Stück für mich, es bietet obendrein die Möglichkeit so viele Seite zu zeigen und hat so viel Tiefe, dass ich mich trotz aller Irrungen und Wirrungen dieses Jahr damit doch darauf freue es 2023 wieder spielen zu dürfen auch wenn es jetzt erst mal im Koffer landet.

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